27. April 2018

Blockchain: ein Innovation-Krimi

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Die Blockchain Technologie gilt als digitales Kassenbuch: Sie kann Werte sichern, weiterleiten, mit Bedingungen verknüpfen. Dabei geht es um Identitäten, Güter, Prozesse. Kurios ist, dass die Innovation mit unsicheren ICOs (Initial Coin Offerings) finanziert wird: Investoren kaufen mit harten Euros eine neue, ans Start-up gebundene Kryptowährung und spekulieren vergleichbar mit einer Aktie auf Gewinn.

Da bei ICOs die gesetzlichen Vorschriften des Aktienmarktes ausgehebelt sind, sind die Investoren ungeschützt. Die Konsequenzen verdeutlichte unser Gastreferent Savedroid-Gründer Dr. Yassin Hankir praxisnah: Er inszenierte am Tag nach unserem Frankfurter Blockchain-Workshop ein medienwirksames „Fraud“-Rätsel und „verschwand“ scheinbar mit 40 Millionen Euro im Gepäck.

Die Blockchain befindet sich offenkundig ebenso nah am Krimi wie an der Innovation. Dennoch herrscht in der FinTec-Szene eine kreative Goldgräberstimmung, so das Fazit des Workshops.


Schurkenstück oder Heldentat?

Wie unsicher ein ICO als Geldanlage sein kann, zeigte Gründer Hankir der Branche: Er ersetzte frühmorgens die komplette Website seines Start-ups Savedroid durch ein „bin dann mal weg“ und veröffentlichte einige Stunden später via Twitter ein Aufbruch-Selfie vom Frankfurter Flughafen sowie ein Strandmotiv. Innerhalb weniger Stunden spekulierten Medien im In- und Ausland über einen „40-Millionen-Fraud“.

24 Stunden später erklärte Hankir die Aktion zum PR-Gag, die Website war wieder erreichbar. Er habe Savedroid bekannter machen und die Gefahren eines ICOs skizzieren wollen, erklärte er per Videobotschaft und bot den Regulierungsbehörden seine Expertise in Sachen ICO an.

Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt laut Wirtschaftswoche eine Prüfung angekündigt und Paymentbanking fordert von Savedroid den Preis „FinTech des Jahres“ zurück.

Stellungnahme Dr. Yassin Hankir

Staatsanwaltschaft prüft Verfahren gegen Savedroid


So geht ICO

Savedroid ist wertvoll: In die Ideenentwicklung des Start-ups haben Anfang 2018 rund 35.000 Anleger geschätzt 40 Millionen Euro investiert – via ICO. Um die eisernen Aktienregeln samt teurem Börsenprospekt zu umgehen, nutzt die Start-up-Branche unisono einen Kniff. Investoren kaufen so genannte Token, quasi als Gutschein für eine Serviceleistung des ausgebenden Start-ups. Da Token als virtuelle Währung an Currency-Börsen gehandelt werden können, sind sie einer hochspekulativen, doch ungesicherten Aktie vergleichbar. 

DSCF1168 KopieDas Verfahren skizziert detailliert Rechtsanwalt Istvàn Cocron von der Kanzlei CLLB. Anschaulich vermittelt er, wie die Kryptowährungs-Branche gesetzliches Niemandsland besetzt und welche Institutionen europaweit dabei helfen. Für einen ICO verweist er auf professionelle institutionelle Hilfe in Luxembourg: Es sei „das einzige Land mit immerhin drei offiziellen Mitarbeitern im Thema ICO“, so der Rechtsanwalt.

Istvàn Cocron, Kanzlei CLLB


Frisch ans Geld: Savedroid 

Savedroid ist eine Spar-App. Nutzer gestatten dem System die Analyse ihres Geldflusses. Erkennt die künstliche Intelligenz einen Überschuss, werden Kleinstbeträge auf einem Sparkonto geparkt. Savedroid prüft zudem Aboverträge seiner Klienten, verdient am Switch zu günstigeren Anbietern und an der Vermittlung passender Anlageofferten, sobald das Sparziel erreicht ist.

Savedroid 


Analyse, Trends, Fakten 

Der Handel mit Token ermöglicht den Totalverlust oder enorme Gewinne. Kleinanleger, vornehmlich technologieaffine Männer bis 35 Jahre, investieren rund 800 bis 1.000 Euro, weiß Pascal Lauria. Angetrieben wird die Nachfrage nach den Coin-Werten durch Informationen und Gerüchte in einschlägigen digitalen Channels.

Pascal Lauria hat das Potential erkannt und sich mit seinem Start-up auf die Coin-Analyse spezialisiert. Da die Menge der Nachrichten in der ICO-Szene unüberschaubar ist, filtert sein Algorithmus Inhalte, sortiert und warnt den Anleger nötigenfalls. Sein Unternehmen soll sich in Kürze gleichfalls über ICO finanzieren, so Lauria.

Coin Analyst


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Blockchain ist Gold ohne Metall

Die Basis eines Werts sei Vertrauen, bekräftigt Prof. Dr. Philipp Sandner, Leiter des Frankfurt School Blockchain Center und Mitglied im FinTec-Rat des Bundesfinanzministeriums: „Die Blockchain ist wie Gold, nur ohne Metall. Sie wird keine Währung, sie ist ein Wertesystem.“

DSCF1306 KopieDer Finanzfachmann skizziert ihre Vorteile: Es dauere Wochen, um 1.000 Euro von Asien nach Frankfurt zu transferieren; Transferkosten dazwischenliegender Institutionen minimierten den Betrag. Per Blockchain dauere der Wertetransfer verlustfrei einige Sekunden, gesichert und verankert, so Sandner.

Über die Technologie ließen sich unterschiedliche Werte verwalten, sagt er und verweist auf den Kfz-Brief. Dieser erfordere heute einen aufwendigen Verwaltungsakt, via Blockchain sei er digital einfach zu sichern und seine Besitzer lückenlos zu dokumentieren. Gerade Entwicklungsländer könnten von solchen digitalen Verwaltungsstrukturen profitieren.

Frankfurt School of Finance & Management

Via Blockchain Kontrolle der Entwicklungszusammenarbeit  


Das Ich im Internet 

Für den Bundesverband Blockchain ist Vertrauen ein struktureller Baustein für die Blockchain-Technologie, und zwar in Form eines Identitätsnachweises, um sicher Absender, Empfänger, Händler und Agierende zuordnen zu können.

„Niemand würde eine Telefonnummer akzeptieren, mit der ich nur innerhalb des Netzes eines Anbieters telefonieren könnte. Doch in der Digitalwelt müssen wir jedem Onlineshop, jedem Social-Media-Dienst und für jedes Service-Abo unsere Daten neu preisgeben“, bemängelt Sprecher Joachim Lohkamp. Ein Basis-Layer als Identitätsbeleg wäre ein passender struktureller Ansatz. Der „Bundesblock“ vertritt übrigens knapp neun Monate nach Gründung bereits über 80 Start-ups.

Bundesverband Blockchain

Positionspapier Bundesblock  


Roboter für Mindestlohn? 

DSCF1018 KopieProf. Andreas Wagener von der Hochschule Hof überträgt die Identitätsfrage auf Maschinen, selbstlernende Autos und Roboter: Eine Maschinen-Identität könnte selbstständig Rohstoffe oder Halblinge ordern und bezahlen, daraus Produkte gestalten und diese veräußern. Erwirtschafte sie Gewinn, könnte die Maschine ihre Wartung bestellen und die Rechnung begleichen. Sie könnte sogar ihren Gewinn besteuern; die Idee gilt als wichtiger Baustein in der Mindestlohn-Debatte.

In der IOTA-Stiftung arbeiten Wissenschaftler bereits an einem passenden neuartigen Blockchain-System, dem so genannten „Tangle“. Auch hier ist die Struktur dezentral, doch statt einer Kette entsteht für die Verifizierung ein Netz mit lokaler Struktur. Das verkürzt Datenlaufzeiten bei den Transfers enorm.

Die Möglichkeit Werte gesichert weiterzureichen, rücke zudem eine Vielzahl an Anwendungen in greifbare Nähe, erläutert Wagener, und nennt als Beispiele Peer-to-Peer-Stromnetze oder den Secondhand-Verkauf eines eBooks.

IOTA

Blockchain & KI: auf dem Weg zur Industrie 5.0?  


Meine Daten sind Dir

Mit der Frage der Identität via Blockchain beschäftigen sich unterschiedliche Start-ups: Joachim Lohkamp setzt sich mit „Jolocom“ für eine Identitätsverwaltung ein. Für eine Altersverifikation genüge schlicht die bestätigte Volljährigkeit, weder seien das Geburtsdatum, das Geschlecht oder gar Adresse und Bankverbindung nötig.

Oliver Naegele, Gründer der Blockchain Helix Orange, denkt an Identitätsbunker. Die Daten würden dann etwa beim Ankauf von Token zwar passend dem Käufer zugeordnet, dessen Daten trotzdem nicht weitergereicht werden. Für die öffentliche Verwaltung wäre eine solch eindeutiges Verzeichnis ein echter Fortschritt.

Hingegen sieht Gründer Onik Mia, Multra GmbH, die Identität als Grundlage weiterer Entwicklungen: Jeder aktive Nutzer könnte für seine Aktivität Microbeträge erhalten – fürs Lesen, Kommentieren oder Schreiben eigener Beiträge. Das eröffne im Mediensegment eine neue Verlags-Leserbeziehung. Ein Modell dafür soll seine Pumped-News-App werden. 

Jolocom

Helix Orange

Pumped ICO