Die Zeichen sind eindeutig: Rasanter Change prägt die Industrie- und Servicewelt. Die junge Generation fordert neues Denken und frische Ansätze. Dabei ist „New Work“ in der Arbeitswelt keineswegs nur ein trendiges Buzzword. Nein, Arbeitsstrukturen und -bedingungen, Mechaniken und Organisationsformate stehen kontinuierlich auf dem Prüfstand.
Arbeit 4.0 steht für Sinnhaftigkeit, neue Rollenmodelle und digitale Ergänzungen. Das zeigte unser Workshop bei Google in Berlin. Nicht der Algorithmus, der Mensch steht im Zentrum des „New Work“-Modells.
Szenarien: Work 2050
Der Ökonom Carl Benedikt Frey und der Informatiker Michael Osborne schockten 2014 mit ihrer These, dass Automation und Digitalisierung rund 47 Prozent der Arbeitsplätze verdrängen würden. Die jüngsten Erhebungen relativieren die Größenordnung auf etwas über 35 Prozent. Die Studie „Arbeit 2050: Drei Szenarien.“ der Bertelsmann Stiftung beschreibt die Folgen, so deren Co-Autor Dr. Ole Wintermann. Die Dynamik der Technologie und der rasante Wandel der Arbeitswelt, sowie Cobot-Formate als Symbiose von Mensch und Maschine, würden unterschätzt.
Wintermann zeichnet wahrscheinliche Szenarien: Entweder gelinge es, die radikalen Änderungen gesellschaftlich zu erkennen und passende Strukturen, Formate und Lösungen zu gestalten, oder es drohe eine „Zukunft der Verzweiflung“. Entscheidend sei, dass Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Technologie, Bildungseinrichtungen, Medien und Kunst das Thema analytisch erfassten und engagierte Lösungen suchten, so der Wissenschaftler.
Delphi-Studie Bertelsmann: Arbeit 2050
How Arbeit 4.0: sinnhaft, erfüllend, frei?
Es sei irreführend, „New Work“ als vorübergehenden Trend, getragen durch digitale Neuerungen und Nachwuchskräfte, zu sehen, betont Dr. Simon Werther, Professor für Innovationsmanagement an der Stuttgarter Hochschule der Medien und Founder von HRinstruments. Tatsächlich habe sich „Arbeit“ grundlegend geändert: Einst habe es 64 Jahre gedauert, um 50 Millionen Autos zu verkaufen. Diese Verkaufsmarke knackten WeChat binnen eines Jahres und Pokemon Go in 19 Tagen, das verdeutliche den drastischen Wandel.
Anspruch und Wahrnehmung verändern sich: Welche Rolle hat „Arbeit“? Ist sie sinnhaft? Schrumpft oder wächst die individuelle Freiheit? Darf ich mitgestalten und mitentscheiden? Antworten finden sich im Kontrollverhalten des Vorgesetzten, im Führungsstil, im Zeitmanagement und innerbetrieblichen Regeln, so der Psychologe und Sinologe. Ein Billardtisch im Büro, die Vorzeige-Hängematte oder der morgendliche Obstkorb sei keine Antwort – es gelte vielmehr, Arbeitsräume als Lebensraum zu verstehen und zu gestalten.
OKR: methodische Zielsetzung
Obwohl bereits zwanzig Jahre alt, gilt die Methodik „Objectives and Key Results“, kurz OKR, als aktueller New-Work-Ansatz. Google, längst auch Facebook und andere Valley-Größen befeuern damit ihren Erfolg. Henrike Lewerenz, Industry Managerin bei Google, schildert die Prinzipien: Gemeinsam mit den Mitarbeitern werden frühzeitig Quartalsziele einvernehmlich vereinbart, bestenfalls in Absprache mit Kollegen oder anderen Abteilungen.
Statt der 100-Prozent-Regel zähle der Blick aufs Ganze, der Trend zur Lösung. Und auch dann würden Ziele und Möglichkeiten, Hürden und Änderungen stetig berücksichtigt. Das helfe in der Orientierung, vermeide Irrtümer und stärke das Handeln des Einzelnen, so die Managerin. Caroline Böhner, Industry Head of Telecommunications bei Google ergänzt: „Erfolgreich ist, wer seine ganze Persönlichkeit mitbringt.“
Methode OKR: Objectives and Key Results
Der Loop Approach
In Hierarchie erstarren? Das geht auch anders, meint Sebastian Klein und stützt sich dabei auf seine Erfahrungen als klassischer Unternehmensberater und Co-Founder von Blinkist. New-Work-Atmosphäre, der Transfer in agile Strukturen, Entscheidungsprozesse via Holacracy-System, seien kein Selbstzweck, sondern ergeben im Gesamtbild ein erfolgreiches Arbeitsmodell.
Der Drang nach Selbstverwirklichung prägt die Dynamik junger Unternehmen. Aus agilen Modellen entstehen schnelle, kreative, selbstorganisierte Teams, die ergebnisorientiert brillieren. Ergänzend verlagert die Entscheidungsfindung nach dem Holacracy-Ansatz die Autorität von Führungspersonen oder Managern auf kleinere Kreise. Die Mini-Organisation im Unternehmen ist für die Mitarbeiter transparent, Entscheidungsprozesse werden schlank und effektiv.
Etablierte Konzerntanker spürten, dass solche neuen Formate zunehmend den Anforderungen einer New-Work-Generation entsprächen, vermittelt Klein. Doch die Transformation sei ein Prozess ohne Blaupausen und müsse zudem an die Eigenheiten der eigenen Unternehmenskultur angepasst werden. „Starten Sie mit einer Insellösung, Erfolgsmodelle sind überzeugend“, sagt Klein, der dieses Vorgehen aus dem eigenen Loop-Approach kennt.
Kultur der Distanz
Homeoffice, global gesplittete Teams, Kollaboration – wie führt man Menschen, die man nicht stetig sieht? Ellen Herb dreht provokant die Frage um: Wann haben wir verlernt zu vertrauen? Einem Kind, das am Nachmittag auf den Spielplatz gehe, genüge es, klare Rahmenbedingungen, eindeutige Prinzipien und unumstößliche Werte zu kennen. Du gehst nur bei „Grün“ über die Straße, bleibst auf dem Spielplatz, sprichst nicht mit Fremden und bist pünktlich zu Hause. Wann, so die Psychologin, haben wir in der Arbeitswelt das Vertrauen in eindeutige Absprachen verloren? Leadership heiße im New-Work-Anspruch „loszulassen“. In hierarchischen Strukturen sei das ein Lernprozess.
Ellen Herb weiß aus ihrem Coaching-Alltag: Das klingt einfach, widerspricht aber der gängigen Prägung. Führung, Kommunikation und Kooperation auf Distanz erfordere Umdenken und Umlernen. Im Telefonat, dem Austausch via E-Mail oder Slack entfielen kommunikative Zwischentöne der Mimik, Gestik, Blicke oder der Körpersprache. Trotzdem sei das Zulassen neuer Arbeitsformen und Kommunikationswege ein entscheidender Schritt ins “New-Work”.
Ellen Herb, Learning & Development
Motivation, ja bitte!
An die Bedürfnishierarchie nach Maslow erinnert Amelie Wiedemann, Co-Founder und wissenschaftliche Leitung von DearEmployee: Zur Basis jedes Arbeitnehmers zählen physiologische Bedürfnisse wie Gesundheit oder ausreichend Schlaf, gefolgt von Sicherheit durch einen unbefristeten Arbeitsvertrag oder das Wissen, dass die Company den technologischen Wandel stemmt. Wer dann noch intakte Beziehungen pflegt und soziale Anerkennung erhält, denkt an „New Work“ im Sinne von Selbstverwirklichung.
Beim Weg dorthin scheitern Unternehmen häufig an der eigenen Kultur: Erhält ein hochmotivierter Mitarbeiter spät abends vom Chef eine E-Mail, wird er unmittelbar antworten. Er agiert motiviert, vernichtet aber zugleich seine Life-Work-Balance. Solche Muster fördern Anspannung, Schlaf- und Konzentrationsprobleme und münden schlimmstenfalls im Burnout. DearEmployee untersucht solche Fehlentwicklungen in Surveys und stellt ihnen gezielt Optionen des New Work gegenüber, es evaluiert passende Arbeitsmethoden und Tools zur Achtsamkeit, beschreibt Wiedemann.
Sei achtsam
„Shareholder Value wird von Stakeholder Value abgelöst. Nachhaltigkeit und Entwicklung rücken in den Fokus“, zitiert Dr. Martina Dopfer, CEO von mynd:way, jüngste Medienberichte. Die These klinge auf den ersten Blick gewagt, tatsächlich fördere Empathie jedoch das Miteinander, Sinnhaftigkeit steigere die Wachstumschance und Führung werde zum Schlüssel der Mitarbeiterbefähigung, sagt Dopfer. Die Berlinerin promovierte an der Universität St. Gallen über digitale Geschäftsmodellentwicklung von Start-ups und ist Yoga-Lehrerin. Sie verknüpft Digitaltrends mit 1.000 Jahre alten Achtsamkeitsmethoden zum New-Work-Ansatz.
Die Methodik von mynd:way vermittelt Einzelpersonen und Teams ein neues Arbeitsverständnis. Die Wirkung sei enorm, meint Dopfer: Mit passenden Übungen steigen Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden, gleichzeitig wachsen Innovation und Kreativität. Die Wirkung stellt sie im Workshop unmittelbar unter Beweis.
Buchtipp: Innovation und Achtsamkeit in integrierten Organisationen
Network, network, network
Nein, als „Business-Tinder“ möchte Tandemploy nicht verstanden, lächelt Silas Otto verschmitzt. Er ist Customer Happyness Manager des Start-ups. Es vernetzt Mitarbeiter passend nach ihrem Know-how, Eigenschaften und Erfahrungen, kurz: ihren Skills.
Flexible Arbeitsmodelle, Kollaboration und Projektteams, die nach Anforderung, nach Anlässen oder aus Themenzwängen zusammengewürfelt werden, sind typische New-Work-Formate. Tandemploy führt Menschen zusammen, die ob ihrer Eigenschaften wahrscheinlich erfolgreich eine gemeinsame Aufgabe lösen. Unternehmen können Tandememploy als interne Insellösung verwenden, um per People-Analytics gezielt Interessen, Wissen, Können und Erfahrung der Mitarbeiter zu gruppieren. Kaum ein Unternehmen führt schließlich Listen, die diese Daten quer über Abteilungen oder Standorte managen.
Profile me!
Der Bewerbermarkt ist ein rasant drehendes Kandidatenkarussell: Geeignete Bewerber bieten sich treffsicher an, die HR-Abteilung wählt sorgsam nach detaillierten Bedürfnisvorgaben. Trotzdem scheitern 98 Prozent der Bemühungen vorzeitig, lediglich 2 Prozent der Bewerbungen münden in einem ersten Kennenlerntalk, vermittelt Terence Hielscher, Co-Founder von MoBerries. Das Start-up baut ein fundiertes Talent-Network, das mit neuronaler Intelligenz sortiert und prüft und global agiert. Die Aussichten des Ansatzes sind glänzend: Bis 2022 solle künstliche Intelligenz weltweit und quer durch alle Branchen 58 Millionen neue Jobs schaffen.
Tatsächlich schärfe jeder Kontakt, jede Entscheidung oder HR-Beurteilung das Bild des Bewerbers. MoBerries übernimmt das Wissen in das Profil des Kandidaten, screent zugleich den Job- und Bewerbermarkt, justiert die Kandidatenskills und steigert für HR-Abteilungen und Bewerber zielgerichtet die Trefferqoute.